Die Realitätssicht des heutigen Menschen
- Das Höhlengleichnis von Platon -
Platon brachte die auf einen rein materialistischen Horizont verengte Realitätssicht, welche heute dominiert und welche es zu erweitern gilt, bildhaft in seinem Höhlengleichnis zum Ausdruck: Menschen sind in einer unterirdischen Höhle in einer solchen Weise an Stühle gefesselt, dass sie nur in eine Richtung bzw. geradeaus auf eine Bühnenwand schauen können. Auf diese Wand werden Schatten projiziert, welche von einer hinter den Menschen befindlichen Szenerie erzeugt werden, indem Figuren von unsichtbaren Akteuren vor einem Feuer auf- und abgeführt werden.
Alles, was die Menschen auf der Bühnenwand zu sehen bekommen und was sie daher für die ausschließliche Realität halten, sind die in Schwarz-Weiß gehaltenen Abbilder der solcherart aus dem toten Winkel projizierten Figuren. Schließlich schafft es einer der Menschen, sich von seinem Sitz loszulösen und erkundet die wahre Natur des Seins mit ihren realen Farben, Wesen und Qualitäten. Er steigt aus der Höhle nach oben und entdeckt die Sonne. Er will diese Erkenntnisse nicht für sich behalten, sondern kehrt zurück zu seinen Kameraden, um ihnen zu erzählen, was er entdeckt hat.
Diese von Platon als Parabel für die menschliche Entwicklung zu höheren Erkenntnissen gegebene Geschichte wird im Laufe der Geschichte von einzelnen Individualitäten immer wieder durch konkrete Erfahrung nachvollzogen.
Dass die Rolle des Helden, der sich aus der Einschnürung an den Sessel bzw. an die kollektiv gewohnte Perspektive befreit, nicht gerade die dankbarste ist, ist ebenfalls nachvollziehbar – schließlich haben sich viele Kameraden so an diesen Sessel und an die schattenhaften Bilder der Wirklichkeit gewöhnt, dass sie die Kunde von einer neuen Realitätssicht und höheren Existenzebenen nur widerstrebend und mit Angst aufnehmen. So ist uns allen bekannt, welche Widerstände Persönlichkeiten wie Giordano Bruno, Galileo Galilei, Kopernikus, Pythagoras oder Sokrates zu überwinden hatten, als sie ihre neuen Erkenntnisse vor die Welt stellten.
Nichts desto trotz war es geradewegs das Wissen und Erkenntnisvermögen jener pionierhaften Persönlichkeiten, welche für die weitere Entwicklung von Kultur und Wissenschaft ausschlaggebend waren, auch wenn sie dafür das harte Urteil des Zeitgeistes bzw. der Pharisäer hinnehmen mussten. Wenn man akzeptiert, dass menschliche Entwicklung niemals zu Ende geht, sondern stets das Erringen neuer Horizonte ansteht, dann darf an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, welche Entwicklungsetappe denn heute, in unserer Zeit ansteht und errungen werden will.
Eine bloße weitere Steigerung unserer bereits hochgradigen Technologisierung und Spezialisierung? Eine noch effizientere Arbeits-, Fertigungs- und Dienstleistungswelt? Mehr ökonomisches Wachstum? Noch leistungskräftigere und schnellere Kommunikations-technologien? Effizienteres empirisches Wissensmanagement? Billigere Pharma- und Geriatrikaproduktion?
Kann das alleine die heute anstehenden Probleme lösen? Auch wenn wir den Komfort, die Informations- und Diagnosemöglichkeiten, die aus solcher Dynamik entstehen, durchaus schätzen, so können bei etwas empfindsamerer Erwägung hier doch leise Zweifel aufkommen, ob mit einer solchen Entwicklung dem Sinn des Menschseins wirklich Rechnung getragen wird.
Denn auch, wenn wir uns heute am Zenit des Wissens dünken und uns unsere technologische Entwicklung in ein fast atemloses Innovationszeitalter befördert hat, so darf nicht übersehen werden, dass – zumindest was technische und medizinische Entwicklung betrifft - all diese Innovationen ausschließlich auf der untersten Daseinsebene des Menschen, nämlich der materiellen Ebene stattfinden..
